Herringer Brückenschlag: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 14. Juni 2023, 18:13 Uhr
Als Herringer Brückenschlag wurde zwischen 2012 und 2016 der im Zuge der Errichtung des Lippeparks vollzogene Bau von zwei Brücken über Lippe und Datteln-Hamm-Kanal bezeichnet.
Mit den Brücken wird heute der Lippepark in Herringen mit der Halde Radbod in Bockum-Hövel verbunden. Aufgrund diverser Pannen und hoher Kosten geriet das Projekt während des Baus wiederholt in die Kritik der lokalen und auch nationalen Berichterstattung. Die Fertigstellung verschob sich aufgrund diverser Mängel und Pannen schlussendlich um zwei Jahre – von 2014 auf 2016.
Projektbeschreibung
Der südlich an die alten Lippeauen angrenzende Bereich wird von der begradigten Lippe und dem Datteln-Hamm-Kanal geprägt. Zwischen Lippe und Kanal erstreckt sich ein Mitteldamm, auf dem überregionale Radwanderrouten verlaufen. Durch den Brückenschlag nach Bockum-Hövel wurde die Anbindung des Lippeparks an die Halde Radbod sowie die auf dem Damm verlaufenden Radrouten ermöglicht.
Durch seine Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zum Siedlungsbereich von Bockum-Hövel kam dem Entwicklungsbereich Radbod eine besondere Rolle bei der Anbindung dieses Stadtteils an den Lippepark zu. Dabei sollte das „passive Landschaftserleben“ im Vordergrund stehen, bei dem sich dem Besucher die vielgestaltige Auenlandschaft erschließt, die durch die jüngere Industriegeschichte geprägt worden ist und in großen Teilen Landschafts- und Naturschutzstatus genießt. Der Aussichtspunkt auf der Halde Radbod ist zudem ein geeigneter Ort zur Information über die Auenlandschaft mit ihrer unter FFH-Schutz[1] stehenden Fauna und Flora und darüber hinaus über das Flussgebietsmanagement im Lipperaum.
Geschichte
Die Finanzierung der Lippe- und Kanalbrücken und deren Fertigstellung bis 2014 galt laut Pressebericht vom 30. November 2012 als gesichert,[2] geriet aber anschließend aufgrund von hohen Gesamtkosten, Verzögerungen und Zwischenfällen zur Lokalposse.
Die Pläne waren am 23. April 2013 durch Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann, Stadtbaurätin Rita Schulze Böing, Heinz-Martin Muhle, Leiter des Stadtplanungsamts, sowie Peter Gawin, Leiter des Tiefbauamts präsentiert worden. Der Rat beschloss den Bau am 14. Mai 2013.[3]
„Dieser Rad- und Fußweg über Kanal und Lippe ist dringend nötig. Die nächsten Querungsmöglichkeiten sind am Lausbach und an der Römerstraße“
Rita Schulze Böing im Westfälischen Anzeiger[3]
Der Bau der Stahlträger war im Dezember 2013 in Ausführung, zeitgleich begannen Vorarbeiten am Baufeld.[4] Beide Brückenteile waren fristgerecht im Sommer 2014 angeliefert.
Kritik an den Kosten (2015)
Von den taxierten sechs Millionen Euro Baukosten sollten 4,8 Mio. Euro durch Förderungen gedeckt werden. Auf die Brücken inklusive aller Rampen entfielen hiervon jedoch nur ca. 3,43 Mio. Euro. Durch „Wege, Zäune, Hundeauslauf, Hundeserviceplätze, ein Aussichtspodest, Amphibienquerungshilfen, Bäume, Bänke, Infosystem, Gutachten, eine ökologische Bauleitung, ein Naturschutzmonitoring“ und andere Maßnahmen um die Brücken herum erhöhte sich die Gesamtsumme auf mehr als 6 Mio. Euro. Grund für zahlreiche der Maßnahmen war, dass die Brücken in ein bestehendes Naturschutzgebiet hineingebaut werden sollten. Der Bund des Steuerzahler nahm das Projekt daher in sein „Schwarzbuch“ für Steuerverschwendung für das Jahr 2015 auf. Unter anderem sollten die Brücken laut Planfeststellungsbeschluss auch durch ein Tor gesperrt werden, wenn die Altarme der Lippe vereisen und überwinternde Wasservögel auf die industriell erwärmte Lippe ausweichen.[5] Tatsächlich wurden die Brücken beispielsweise im Frühjahr 2017 gesperrt, um die von den zugefrorenen Altarmen der Lippe abgewanderten Vögel an dieser Stelle nicht zu stören.[6]
Die hohen Kosten riefen auch das RTL-Unterhaltungsmagazin „Mario Barth deckt auf“ auf den Plan. In der Sendung vom 28. Oktober 2015 kritisierte Sky-Moderatorin Esther Sedlaczek unter anderem eine Marathon-Strecke in Hamm, die über die Lippebrücken verläuft. Zum Abschluss des Beitrags widmete man sich dann auch den Brücken. Sedlaczek verwies unter anderem auf die Kritik des Steuerzahlerbundes an den hohen Kosten, der dabei auch selbst zu Wort kam. Der Westfälische Anzeiger veröffentlichte daraufhin eine Gegendarstellung, in der bemängelt wurde, dass der Eindruck erweckt worden sei, dass die Brücken nur wegen der Marathonstrecke gebaut worden seien. Zudem seien die Kosten für die Brücken in einen direkten Zusammenhang mit der Erhöhung der Grundsteuer B gesetzt worden. Beide Behauptungen seien falsch.[7] 2020 zeigte Barth im Rahmen eines Rankings schlecht gemanagter Brückenprojekte erneut den gekürzten Beitrag über die Brücke. Im Ranking belegte sie Platz 3.[8]
Verzögerungen beim Bau (2014–2016)
Probleme gab es nicht nur mit den Kosten. Also verzögerte sich das Aufsetzen der Brücken nach fristgerechter Fertigstellung der Bauwerke mehrfach: Der für Ende 2014 vorgesehene Einbau musste verschoben werden, da die dafür nötigen Gutachten nicht vorgelegen haben sollen. Die Brücken wurden daher im Kohlehafen eingelagert.[5] Durch eine vermeintlich falsche Einlagerung der Brücke vermutete man wenig später eine erhebliche Überbelastung der Spundwand und Gefahr für die Schifffahrt. Durch eine anschließende Umlagerung entstanden zusätzliche Kosten von 71.000 Euro.[9] Die Stadt entzog der Firma Rohlfing, die den Einbau verantworten sollte, Anfang 2015 schlussendlich den Auftrag. Als Grund gab man an, dass Rohlfing das vom Wasser- und Schifffahrtsamt Rheine geforderte statische Gutachten für die Montage noch immer nicht eingereicht habe. Zwischen dem amtlichen Prüfstatiker und Rohlfing kam es schließlich zu einem Schiedsverfahren vor der Ingenieurkammer-Bau NRW. Ergebnis dieses Verfahrens war, dass (Zitat) „Einvernehmen darüber besteht, dass statische Nachweisefür Maschinen oder Teile nicht erforderlich“ gewesen seien.[10]
Ein neuer Bauunternehmer wurde nach dem Sommerferien 2015 in Gestalt von Stahlbau Magdeburg beauftragt.[11][10] Dann passierte lange nichts, außer dass bei den zwischengelagerten Brücken weitere Mängel festgestellt wurden. Die Rede war von nicht sauber ausgeführten Schweißnähte, mangelhaftem bzw. teils fehlendem Korrosionsschutz und einem nicht rutschfesten Belag des Gehwegs. Der Firma Scheidt aus Herford, die die Brücken konstruiert hatte, wurde bis in den Juzni Zeit gegeben, die Mängel zu beseitigen.[12]
Im November 2015 musste der für diesen Monat angesetzte Termin für das Einschwenken der Brücken per Kran erneut um einen Monat auf 9. und 10. Dezember vertagt werden. Grund waren nicht abgeschlossene Arbeiten am Mitteldamm.[13] Der erste tatsächliche Versuch, die Lippe-Brücke am 9. Dezember 2015 auf die vorgesehenen Positionen einzuschwenken, scheiterte dann an einem unerwartet hohen Gewicht. Kalkuliert worden war eine Masse von rund 135 Tonnen, die – wie sich später herausstellte – nicht geeichte[14] Waage des Krans zeigte jedoch 166 t an, wofür die Anschlagseile und die Gegengewichte nicht dimensioniert waren. Die Brücke wurde wieder auf dem Kohlehafen abgesetzt. Die Verschwenkung der zweiten Brücke über den Datteln-Hamm-Kanal am 10. Dezember wurde folglich bis auf Weiteres verschoben.[15] 2016 sollte sich dann herausstellen, dass die Brücke gar nicht zu schwer gewesen war. Eine Messung am 23. Februar 2016 ergab ein Gewicht von 156,80 Tonnen, wobei nach Erkenntnissen des WA ein Einschwenken bis 160 Tonnen möglich gewesen wäre.[14]
Der zweite Versuch am 11. Dezember, der zuvor von einem Prüfstatiker aufgrund neuer Berechnungen genehmigt worden war, wurde aufgrund starker Winde abgebrochen. Die Vorhersage prognostizierte Winde mit einer Geschwindigkeit von bis zu 14 Metern pro Sekunde, möglich waren die Arbeiten jedoch nur bis zu Windgeschwindigkeiten von 10,8 m/s.[16]
Einweihung und juristische Aufarbeitung (2016)
Schließlich konnten beide Brücken am 15. Dezember in 14 Stunden Arbeit im dritten Anlauf erfolgreich abgesetzt werden, blieben aber noch für den Publikumsverkehr gesperrt.[17] Die endgültige Freigabe der 6 Millionen Euro teuren Brücken durch Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann erfolgte erst am 20. Mai 2016,[18] auch danach war allerdings ein Übergang auf den Mitteldeich zunächst noch nicht möglich, da der Bodenbelag erst wenig später fertiggestellt werden konnte. Die Restarbeiten nach Absetzen verursachten unerwartet Mehrkosten von 220.000 Euro.[19]
Damit war die Posse um die Brücke noch nicht beendet. Stahlbau Magdeburg verklagte die Stadt, weil aufgrund der verschobenen Montagetermine Ende 2015 Baugerät länger als geplant vor Ort gebunden war. Ihrerseits verklagte die Stadt die Arbeitsgemeinschaft Rohlfing/Scheidt auf die Kosten, die nach der Neuvergabe der Montagearbeiten entstanden waren – ein siebenstelliger Betrag.[10] Nach Berichten des WA von 2020 sind die Verantwortlichen für die verschiedenen Zwischenfälle noch nicht ermittelt.[8]
Einzelnachweise
- ↑ Flora-Fauna-Habitat, die höchste europäische Schutzkategorie
- ↑ Westfälischer Anzeiger vom 30. November 2012
- ↑ 3,0 3,1 „Lippepark-Brücke soll Ende 2014 fertig sein“ in: wa.de vom 23. April 2013
- ↑ „Stahlträger für Lippebrücke werden zurzeit gebaut“ in: wa.de vom 19. Dezember 2013
- ↑ 5,0 5,1 „Lippepark-Brückenschlag hat Eintrag im Schwarzbuch 2015“ in: wa.de vom 30. September 2015
- ↑ Stefan Gehre: „Noch keine Öffnung der Lippebrücke“ in: wa.de vom 5. Februar 2017
- ↑ Stefan Gehre: „RTL deckte auf in Hamm - doch Details blieben auf der Strecke“ in: wa.de vom 30. Oktober 2015
- ↑ 8,0 8,1 Stefan Gehre: „Mario Barth nimmt Hammer Pannen-Brücken erneut aufs Korn“ in: wa.de vom 20. September 2020
- ↑ Stefan Gehre: „Neue Panne bei Lippepark-Brücken kostet 71.000 Euro“ in: wa.de vom 7. September 2015
- ↑ 10,0 10,1 10,2 Stefan Gehre: „Pannen-Brücken im Lippepark ein Fall fürs Gericht“ in: wa.de vom 19. Juni 2017
- ↑ Stefan Gehre: „Hamms Prestigeprojekt: Die Pannen-Chronik der Lippepark-Brücken“ in: wa.de vom 11. Dezember 2015
- ↑ „Lippepark: Gutachten zeigt neue Mängel an Brücken“ in: wa.de vom 15. Mai 2015
- ↑ Stefan Gehre: „Brückenschlag im Lippepark einmal mehr verschoben“ in: wa.de vom 8. November 2015
- ↑ 14,0 14,1 Stefan Gehre: „Lippebrücke leichter als gedacht - Possenspiel geht in neue Runde“ in: wa.de vom 23. Februar 2016
- ↑ Stefan Gehre, Marc Borgmann, Maike Geißler: „Brückenschlag im Lippepark gescheitert - Video mit Drohnenbildern“ in: wa.de vom 9. Dezember 2015
- ↑ Lars Becker, Stefan Gehre: „Wind zu stark: Zweiter Versuch für Brückenschlag fällt am Freitag aus“
- ↑ Stefan Gehre: „Brückenschlag im Lippepark erfolgreich“ in: wa.de vom 15. Dezember 2015
- ↑ Stefan Gehre: „Lippepark-Brücken werden am Freitag freigegeben“ in: wa.de vom 18. Mai 2016
- ↑ Detlef Burrichter: „Lippebrücken kosten 220.000 Euro mehr“ in: wa.de vom 27. März 2016