Neuer Westfälischer Kurier

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Titelblatt des Neuen Westfälischen Kurier

Neuer Westfälischer Kurier - so hieß die nach dem zweiten Weltkrieg von 1946 bis 1949 auch in Hamm erscheinende zentrumsnahe Zeitung als Nachfolger des Westfälischen Kuriers. [1]

Geschichte und Entwicklung

Nach der Kapitulation verboten die Alliierten sämtliche deutsche Zeitungen. Um den Wiederaufbau der Presse zu ermöglichen, erteilten die Besatzungsmächte Zeitungslizenzen. Die britische Besatzungspolitik verfolgte bei der Vergabe der Lizenzen drei Ziele, nämlich eine objektive Darstellung der Nachrichten, eine klare Trennung von Berichten und Kommentaren und ein ausgewogenes Verhältnis der Berichterstattung über Weltereignisse, deutsche und regionale Vorkommnisse. Dabei war den Lizenznehmern auferlegt, alles zu unterlassen, was an das NS-Regime in Stilart und Darstellungsweise erinnern könnte. Die britische Besatzungsmacht behielt sich eine Zensur im Hinblick auf Politik und Sicherheit vor.

Die erteilten Lizenzen waren stets mit einer Auflagenzuteilung verbunden, die zunächst willkürlich erfolgte und sich ab Ende des Jahres 1946 für die parteiorientierten Zeitungen – also auch für den zentrumsnahen Neuen Westfälischen Kurier – an den Wahlergebnissen ausrichtete. Für den Neuen Westfälischen Kurier bedeutete dies auf Grund des schwachen Abschneidens der Zentrumspartei eine Auflagenkürzung von 7,9 % (von ursprünglich 139.000 auf 128.000 Blatt).

Um die Unabhängigkeit der parteinahen Zeitungen von parteilicher Einflussnahme zu gewährleisten, wurden vertrauenswürdige Personen als Lizenznehmer ausgewählt, die mit ihrer persönlichen Integrität dafür bürgen sollten, dass Parteigremien keinen Einfluss auf die Redaktionen nehmen konnten.

Die erste Ausgabe des Neuen Westfälischen Kuriers erschien am 06. September 1946 in Werl. Als Lizenznehmer der Zeitung traten Helene Wessel, Fritz Erhart, Fritz Stricker und Josef Weiser auf. Die Lizenz war von der britischen Besatzungsbehörde für die Regierungsbezirke Münster, Arnsberg und Detmold erteilt worden.In großen Teilen konnte sich die redaktionelle Arbeit auf Redaktionsstäbe ehemaliger zentrumsnaher Zeitungen stützen. Darüber hinaus wurden die Anzeigenabteilungen und die Druckbetriebe der Altzeitungen genutzt, um den Neuen Westfälischen Kurier zu erstellen und zu verteilen. So wurde etwa in Hamm die Redaktions- und Vertriebsstruktur des namensgebenden Westfälischen Kurier mit dem Verlag Breer und Thiemann sowie dessen Druckerei für das Zeitungsprojekt reaktiviert.

Die JVD-Druckerei (Ibbenbürener Volkszeitung) übernahm im Jahr 1948 im Lohndruck die Herstellung des "Niedersächsischer Kurier" aus Osnabrück. Auch hier waren Fritz Erhart, Josef Weiser und Helene Wessel 1946 Lizenznehmer. Der Niedersächsische Kurier basierte dabei redaktionell auf den ehemaligen Heimatzeitungen u. a. aus Lingen, Meppen, Oldenburg, Papenburg und Ibbenbüren.

Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde der Lizenzzwang für die Herausgabe von Tageszeitungen aufgehoben. Die Verlagsgesellschaft des Neuen Westfälischen Kuriers und des Niedersächsischen Kuriers löste sich auf. Die lokalen Zeitungen erschienen zum Teil wieder selbständig.

Die letzte reguläre Ausgabe des Neuen Westfälischen Kuriers erschien am 29. Oktober 1949. So stellte die Ausgabe T für das Sauerland mit dieser Ausgabe ihr Erscheinen ein und wurde vom Sauerländischen Volksblatt mit der Ausgabe vom 1. November fortgesetzt. Andere Ausgaben erschienen noch außerhalb der regulären Erscheinungsweise (dienstags, donnerstags und samstags) am 31. Oktober 1949 mit einer letzten Ausgabe.

Inhalte und politische Ausrichtung

In den vierseitigen Ausgaben des Neuen Westfälischen Anzeigers war die Titelseite der Weltpolitik mit Bezug auf Deutschland, aber auch die Landespolitik in Nordrhein-Westfalen und wirtschaftlichen Themen gewidmet. Kurzmitteilungen wurden unter der Rubrik „Das interessiert uns zusammengefasst. Auf der zweiten Seite fand sich ein durch kursiven Schriftsatz herausgehobener Kommentar, daneben vor allem Wirtschaftsmeldungen. Die dritte Seite umfasste Kultur – speziell christliches Leben – und den „Sportkurier“ für überregionale Sportnachrichten. Lokale Nachrichten und Anzeigen waren auf der vierten Seite verortet. Spätere Ausgaben waren sechsseitig, umfassten aber dieselben Themen in der oben schon dargestellten Reihung. Dazu traten aber schon frühzeitig Romanabdrucke in Fortsetzungsform. Die Rubrik „Das interessiert uns“ ist entfallen, der „Sportkurier“ wurde aber als Themenschwerpunkt fortgesetzt.

Die Zeitung ist eine Gründung der Zentrumspartei und verstand sich als Sprachrohr der Partei, die sich nach der Auflösung in der NS-Zeit im Jahr 1945 neugegründet hat und an die Tradition der Partei in der Weimarer Republik anknüpfte. Um die Zeitung gründen zu können, bedurfte es nach den Regelungen der britischen Besatzungsbehörden integerer Persönlichkeiten als Lizenznehmer.

Eine von ihnen war Helene Wessel, stellvertretende Bundesvorsitzende der Zentrumspartei nach dem 2. Weltkrieg und als Mitglied des parlamentarischen Rates an der Ausgestaltung des Grundgesetzes für den neuen Staat Bundesrepublik Deutschland eine von vier „Müttern des Grundgesetzes“.

Helene Wessel war Ausdruck der Traditionslinie ihrer Partei, da sie für das Zentrum als Abgeordnete im Reichstag saß und sich dort als einzige anwesende Abgeordnete ihrer politischen Gruppierung bei dem von Hitler beantragten Ermächtigungsgesetzes nach eigenen Aussagen der Stimme enthielt. Auf dem ersten Parteitag nach dem Krieg im März 1946 wurde Helene Wessel zur stellvertretenden Vorsitzenden des Zentrums gewählt. Im Herbst wurde sie zur Lizenzträgerin für den Neuen Westfälische Kurier. Im Jahr 1949 übernahm Wessel den Vorsitz des Zentrums. Sie schied 1952 im Zwist um die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik aus der Zentrumspartei aus und schloss sich der von Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei an, aus der sie, wie viele andere auch, zur SPD wechselte.

Fritz Erhart (verstorben 1958) war Rechtsanwalt und Notar in Paderborn und dort für die Zentrumspartei nach dem zweiten Weltkrieg zeitweilig im Rat der Stadt. Von 1952 bis zu seinem Tod 1958 war er Mitglied des Verfassungsgerichtshofs des Landes Nordrhein-Westfalen.

Dr. Fritz Stricker (1897-1949) war promovierter Wirtschaftswissenschaftler und ausgebildeter Journalist. Vor der NS-Zeit war er Verlagsdirektor und Redakteur der Münsterischen Morgenpost. Nach dem zweiten Weltkrieg war er an der Neugründung der Zentrumspartei beteiligt und dort zeitweilig Direktoriumsmitglied, im Jahr 1949 war er kurzzeitig bis zu seinem Unfalltod Parteivorsitzender der Zentrumspartei.

Josef Weiser (1881-1964) war Textilkaufmann in Buer. Er war schon in der Weimarer Republik aktives Zentrumsmitglied. In der Nachkriegszeit engagierte er sich wieder in der Partei und wurde zeitweilig Bürgermeister der Stadt Gelsenkirchen.

Periodizität und Auflage

Drei Ausgaben pro Woche (Dienstag, Donnerstag und Samstag)

Auflage

  • 139.000 (August 1946)
  • 128.000 (Dezember 1946), nach Auflagenneufestsetzung durch die Briten
  • 130.000 (Mai 1948)115.000 (1949)

Ausgaben

Die Ausgabe A wurde in Hamm produziert und beinhaltete den Regionalteil für die Stadt Hamm und die Kreise Unna und Soest.

In der Endphase seiner Existenz besaß der Neue Westfälische Kurier 28 Bezirksausgaben in Nordrhein-Westfalen und im Regierungsbezirk Osnabrück in Niedersachsen:

  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe A. Mit Regionalteil: Stadt Hamm, Kreis Unna, Kreis Soest
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe B. Mit Regionalteil: Lippstadt, Paderborn, Büren, Warburg, Höxter
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe D. Mit Regionalteil: Groß-Dortmund, Stadt- u. Landkreis Iserlohn
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe DN. Mit Regionalteil: Dortmund, Bochum, Herne, Castrop-Rauxel
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe DNO. Mit Regionalteil: Dortmund, Bochum, Castrop-Rauxel, Herne, Lünen, Witten
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe E. Mit Regionalteil: Stadt und Kreis Soest, Stadt und Kreis Lippstadt
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe G. Mit Regionalteil: Coesfeld
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe K. Mit Regionalteil: Lüdinghausen, Kreis Beckum, Kreis Wiedenbrück
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe L. Mit Regionalteil: Münster/Münsterland
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe M. Mit Regionalteil: Gelsenkirchener Nachrichten, Wanne-Eickel, Wattenscheid
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe N. Mit Regionalteil: Bochum, Castrop-Rauxel, Herne, Witten
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe O. Mit Lokalteil: Herne
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe P. Mit Regionalteil: Buer, Westerholt, Gladbeck, Bottrop
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe R. Mit Regionalteil: Recklinghausen, Datteln, Marl, Herten, Waltrop, Haltern
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe S. Mit Regionalteil: Gladbeck, Bottrop, Kirchhellen
  • Neuer westfälischer Kurier. Ausgabe T. Mit Regionalteil: Stadt u. Kreis Olpe, Stadt u. Kreis Siegen, Wittgensteiner Land
  • Neuer westfälischer Kurier. TU. Mit Regionalteil: Stadt Hagen, Ennepe-Ruhr-Kreis, Stadt- u. Landkreis Iserlohn, Stadt u. Kreis Lüdenscheid, Kreis Altena, Stadt u. Kreis Olpe, Wittgensteiner Land

Die Zeitung erschien vom 03.01.1948 bis 31.12.1949 im Regierungsbezirk Osnabrück unter dem Titel „Niedersächsischer Kurier“. Sie wurde vom Verlag der Ibbenbürener Volkszeitung gedruckt und vertrieben.

Konkurrenzblätter

Der Neue Westfälische Kurier verstand sich als Organ der Zentrumspartei und stand damit in Konkurrenz zu allen parteipolitisch orientierten Zeitungen in der Nachkriegszeit in Westdeutschland, insbesondere in Westfalen.

Weitere Lizenzzeitungen waren die Westfälische Rundschau in Dortmund (SPD), das Westdeutsche Tageblatt in Münster (FDP), das Volksecho (KPD); und die Westfälischen Nachrichten, Münster (CDU).

Nachfolger

Nach Auslaufen der Lizenzregelungen durch die britischen Besatzungsbehörden löste sich der neue Westfälische Kurier auf. An seine Stelle traten Zeitungen, die schon vor der NS-Zeit erschienen waren. Für Hamm kam es zu einer Fusion der ehemals hier erschienenen Zeitung Westfälischer Kurier und Westfälischer Anzeiger unter dem Namen Westfälischer Anzeiger und Kurier.

Bekannt sind u.a. diese Nachfolgeblätter des Neuen Westfälischen Kurier:

  • Buersche VolkszeitungBottroper Nachrichten
  • Gelsenkirchener Nachrichten
  • Horster Volkszeitung
  • Münstersche Zeitung, Münster
  • Sauerländisches Volksblatt, Olpe
  • Westfälischer Anzeiger und Kurier, Hamm; später: Westfälischer Anzeiger

Bestandhaltende Institutionen

Stadtarchiv Gelsenkirchen/Institut für Stadtgeschichte und Stadtarchiv Olpe.

Literatur und Quellen

  • Ingrid Bauert-Keetman; Norbert Kattenborn, Liesedore Langhammer, Willy Timm, Herbert Zink: Hamm. Chronik einer Stadt. Köln: Archiv für Deutsche Heimatpflege GmbH 1965. Darin: Emil Griebsch. Graphische Betriebe KG. Hamm. Über 300 Jahre Tradition und Fortschritt. S. 291-292.
  • Heinz-Dietrich Fischer: Handbuch der politischen Presse in Deutschland 1480-1980. Synopse rechtlicher, struktureller und wirtschaftlicher Grundlagen der Tendenzpublizistik im Kommunikationsfeld. Düsseldorf: Droste Verlag 1981, S. 333.
  • Martin Huckebrink: Die Soester Presselandschaft von 1945 bis 1950. In: Ilse Maas-Steinhoff (Hrsg.): Nachkriegszeit in Soest. Soest 2011. S. 171-195.
  • Maria Perrefort; Johannes W. Pommeranz: Schwarz auf Weiß. Zur Geschichte des Druckereiwesens in Hamm. Hamm 1997.
  • Katrin Schmandt: Die Christlich-Demokratische Partei in Paderborn: Gründung und Aufbau. In: Westfälische Zeitschrift 146.1996. S. 331-349.
  • Walter J. Schütz: Zeitungsgeschichte und Institutsgeschichten. Publizistik in Münster 1946 bis 1959. In: Klaus Merten: Konstruktion von Kommunikation in der Mediengesellschaft: Festschrift für Joachim Westerbarkey. Berlin, Heidelberg, NewYork: Springer-Verlag 2009. S. 263-274.
  • Wilhelm Seidel: Lizenz-Handbuch deutscher Verlage 1949: Zeitungen, Zeitschriften, Buchverlage. Berlin: Walter de Gruyter 1949.
  • Webseite Gelsenkirchener Geschichten
  • Wikipedia Artikel zu Helene Wessel
  • Wikipedia Artikel zu Josef Weiser
  • Wikipedia Artikel zu Fritz Stricker
  • Webseite des Verfassungsgerichtshof NRW

Anmerkungen

  1. Dieser Artikel entstand in Kooperation mit zeitpunkt.nrw und stand dabei unter wissenschaftlicher Betreuung von Frau Angelika Gwozdz von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Siehe [1]